Wenn der Plural unsinnig ist

Der grammatische Begriff Plural ist vom lateinischen Wort plures abgeleitet, was „mehrere“ bedeutet. Wenn wir etwas in der Mehrzahl bezeichnen, haben wir davon als mehr als eins. Ein einzelner Baum steht im Garten, während viele Bäume einen Wald bilden. Diese einfache Regel scheint jedoch immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Immer öfter sehe ich einen Plural, wenn ein Singular erforderlich wäre.

Der Plural ist größer als eins. Das lässt sich leicht ausrechnen.

Beim Streit in der Bundesregierung über die Flüchtlingspolitik ist angesichts eines drohendes Zusammenbruchs der Koalition von „Neuwahlen“ die Rede. In diversen aktuellen Schlagzeilen – willkürlich bei Google News rausgepickt – ist beispielsweise zu lesen:

  • „Die SPD bereitet sich auf Neuwahlen vor“
  • „Nord-FDP fordert Neuwahlen bei Ende der großen Koalition“
  • „Scholz spricht sich gegen Neuwahlen aus“

Überall steht das entscheidende Wort im Plural. Was soll uns das sagen? Sind die Politiker so verzweifelt, dass sie befürchten, einmal neu zu wählen, würde nicht reichen? Eine Neuwahl im Herbst und dann noch eine Anfang nächsten Jahres? Haben die Journalisten, die diese Schlagzeilen verfasst haben, den Unterschied zwischen Singular und Plural vergessen?

Sinnvoll wäre das Wort „Wahlen“ im Plural nur in zwei Fällen:

  1. Mehrere Wahlen finden tatsächlich parallel statt. Das war zum Beispiel gerade in der Türkei so, wo neben der Präsidentschaftswahl eine Parlamentswahl stattfand. Dann kann man von den Wahlen in der Türkei sprechen (mal abgesehen von der Frage, wie demokratisch die Abstimmungen verlaufen sind).
  2. Man spricht – vor allem rückblickend – über mehrere Wahlen. Zum Beispiel: „Bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 bekam die CDU immer die meisten Stimmen.“ Dann geht es um drei Abstimmungen. Ein Satz wie „Bei den Bundestagswahlen 2017 wurde die CDU wieder die stärkste Partei.“ ist hingegen unsinnig, weil es in diesem Fall nur um eine einzige Wahl geht.

Bei der Frage nach Singular oder Plural ist auch Angela Merkel interessant. Die Bundeskanzlerin hat zwar meines Wissens selbst keinen derartigen Fehler begangen, wird aber selbst oft in den Plural gesetzt. In Berichten tauchen Begriffe wie „Kanzlerinnen-Dämmerung“, „Kanzlerinnen-Befragung“ oder „Kanzlerinnen-Rettung“ (ebenfalls alles bei Google News zu finden). Solche seltsamen Komposita sind sprachlich schon fragwürdig. Besonders skurril ist allerdings der Bestandteil „Kanzlerinnen“ im Plural. Der historisch und politisch interessiert Mensch schaut mal zurück und stellt schnell fest, dass Frau Merkel die erste Frau in diesem Amt ist. Es gab also keine zweite oder dritte Kanzlerin und deshalb besteht kein Anlass zur Verwendung des Plurals.

Auch abseits der Politik wird der Plural oft zu Unrecht benutzt, zum Beispiel bei einem sportlichen Wettbewerb. Da sprechen Reporter oft davon, dass bestimmte Sportler sich für die deutschen Meisterschaften qualifizieren oder bei Europa- bzw. Weltmeisterschaften gute Ergebnisse erreicht haben. Meistens geht es dabei jedoch nur um eine einzelne Meisterschaft. Dann gelten ähnliche Argumente wie bei den Wahlen.

Deshalb meine Bitte an alle sprachlich interessierten Menschen da draußen: Achtet doch ein bisschen darauf, was ihr da schreibt oder sagt und zählt zur Not nochmal nach, ob es wirklich um mehrere Wahlen, Meisterschaften etc. geht. Der einzige Mensch, der beim Rechnen etwas schlampig sein darf, ist schließlich Pippi Langstrumpf: „2 x 3 macht 4, widdewiddewitt, und drei macht neune! Ich mach‘ mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt.“