Fordernde Katastrophe, rennende Zeit: Wo die Personifikation (nicht) sinnvoll ist

Wir lesen diese Personifikation immer wieder. Egal ob Hochwasser oder Erdbeben, jede Katastrophe fordert Opfer, manchmal sogar Todesopfer. Dieser Ausdruck ist in den Medien längst zu einer Floskel geworden und die meisten Journalisten nutzen ihn, ohne darüber nachzudenken. Sinnvoll ist er trotzdem nicht. In der Literatur und der Werbung kann die Personifikation ihren Zweck erfüllen, aber bei Katastrophen ist sie unangemessen. Werfen wir mal einen genaueren Blick auf dieses rhetorische Stilmittel.

Wenn eine Katastrophe Opfer fordert, verwenden Medien eine unangemessene Personifikation.

Personifikation macht es menschlich

Dabei beginnen wir mit einem Ausflug in die Welt der rhetorischen Stilmittel. Dazu gehört die Personifikation nämlich. Wer ein bisschen Latein versteht, erkennt in diesem Begriff die Wörter persona und facere. Mit einer Personifikation wird ein Gegenstand oder etwas Abstraktes zu einem Menschen gemacht. Anders ausgedrückt: Menschliche Tätigkeiten oder Eigenschaften werden auf etwas Nicht-Menschliches übertragen. Das können auch Tiere sein.

Durch solche sprachlichen Vergleiche können wir uns das Beschriebene intensiver vorstellen. Die Geschichte erscheint damit lebhafter und anschaulicher. Wenn uns die Angst die Kehle zuschnürt, spüren wir das bedrohliche Gefühl so intensiv, als wenn jemand am Hals Hand anlegt. Blätter, die im Wind tanzen, lösen bei uns andere Bilder aus als die nüchterne Feststellung, dass die Blätter durch den Wind hin- und herbewegt werden.

Katastrophen fordern keine Opfer

Apropos nüchtern: Damit kommen wir zurück zum Beispiel aus der Einleitung, zu den Katastrophen jeglicher Art, die angeblich Opfer fordern. Es ist das wohl am weitesten verbreitete Beispiel für eine unangemessene Nutzung dieses rhetorischen Stilmittels. Wie soll das funktionieren? Wie soll die Katastrophe oder der Unfall Opfer fordern? Steht die Katastrophe da wie der Sensenmann (der übrigens selbst eine Personifikation, genauer gesagt eine Allegorie ist)? Vielleicht tritt sie auch wie ein antiker Gott auf, der von den Menschen Opfer verlangt.

Ihr merkt schon: Wenn man darüber nachdenkt, wirkt der Vergleich schnell unpassend, vor allem in Medienberichten. Journalismus ist eben keine kunstvolle Literatur. Durch Katastrophen sterben Menschen oder erleiden Verletzungen. Jedoch verlangt niemand ihren Tod oder die Verletzung, erst recht nicht die Katastrophe selbst. Wir sollten deshalb bei nüchternen Formulierungen bleiben, zum Beispiel: „Beim Erdbeben starben drei Menschen.“

Die unangemessenen Forderungen sind übrigens nicht die einzige Stilblüte in der Berichterstattung über Unglücksfälle. Bastian Sick hat dem Thema beim Zwiebelfisch schon vor einigen Jahren mal eine lesenswerte Kolumne gewidmet. Wir müssen im Journalismus nicht unnötig übertreiben. Viel wichtiger wäre es, in solchen Krisen besser zu kommunizieren. Im Fall des Hochwassers könnte man zum Beispiel erläutern, wie solche Extremereignisse entstehen, wo der Unterschied zwischen Wetter und Klima liegt und wie man dieses Klima besser schützen kann.

Die schöne Personifikation in Literatur und Werbung

Beim Klimaschutz rennt uns übrigens die Zeit davon. Oder wie es der alte Römer Vergil sagte: „Tempus fugit.“ Die Zeit hat natürlich keine Beine und Füße, kann sich daher nicht wirklich fortbewegen. Aber hier sehen wir ein bekanntes Beispiel für eine gute Personifikation. Man verleiht der Zeit diese menschliche Eigenschaft, um die Geschwindigkeit zu verdeutlichen, mit der sie vergeht. Weitere Beispiele habe ich ja mit der zuschnürenden Angst, den tanzenden Blättern und dem Sensenmann schon genannt. Letzterer zeigt als Allegorie ebenso wie die Mutter Natur oder die blinde Justitia, wie sich die Stilmittel überschneiden können.

Für Übertreibungen ist ja auch die Werbung bekannt. Schließlich wollen die Anbieter ihre Produkte bestmöglich darstellen. So kennen wir u.a. bekannte Werbeslogans, in denen Waschmaschinen länger leben oder eine Tablette den Magen aufräumt.

Neben den Dingen und abstrakten Konzepten können, wie bereits kurz erwähnt, auch Tiere durch Personifikation menschliche Eigenschaften erhalten. Daraus entstand bereits in der Antike die Fabel als eigene literarische Kategorie. Außerdem kennen wir menschliche Tiere aus Märchen, wie beim bösen Wolf oder dem Froschkönig. Modernere Beispiele sind die unzähligen Tiere in Comics und Gestalten aus der Werbung wie der trommelnde Hase.

Die Personifikation ist also ein wichtiges und wertvolles Stilmittel. Wir sollten sie aber auf Literatur, Werbung oder persönliche Erzählungen beschränken und nicht unpassend im Journalismus einsetzen.