Klartext statt Euphemismus: Lasst uns offen reden

Man kommt oft in Situationen, in denen man sich nicht traut, offen die Wahrheit zu sagen. Dann geht es um Tabuthemen sowie unangenehme Tatsachen oder Einstellungen. In solchen Fällen benutzen wir einen Euphemismus. Mit diesem Fachbegriff bezeichnen Sprachforscher ein Wort oder einen Ausdruck, mit dem eine Person oder Sache beschönigend oder mildernd beschrieben wird. Allerdings werden Euphemismen sehr oft auch missbraucht, um etwas zu verschleiern. Da wäre mehr Klartext wünschenswert.

Mit einem Euphemismus wird oft etwas Unangenehmes verschleiert wie der Wald im Nebel.

Was ist ein Euphemismus?

Im Begriff Euphemismus stecken die griechische Vorsilbe eu- für „gut“ und das Wort phemí für „ich sage“. Man sagt damit also etwas in guten Worten. Genauer gesagt in zu guten oder zu schönen Worten. Es handelt sich um eine sprachliche Beschönigung oder Vertuschung. Dadurch klingt das eigentlich unangenehme Thema direkt schöner, harmloser oder seriöser.

Die Gründe, warum jemand dieses sprachliche Mittel nutzt, sind vielfältig. Es kommt u.a. bei typischen Tabuthemen zum Einsatz. Oft geht es darum, dass man sich schämt, etwas direkt zu benennen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn es um Geschlechtsorgane und deren Benutzung oder um menschliche Ausscheidungen aller Art geht. In diesen beiden Bereichen existieren nicht zufällig sehr viele verschiedene umgangssprachliche oder umschreibende Begriffe. Ähnlich kreativ und vielfältig ist die Sprache rund um das Thema Tod und Sterben. Da macht zum Beispiel allein schon die Änderung der Vorsilbe vom neutralen „gestorben“ zum förmlicheren „verstorben“ einen Unterschied und erst recht wird es ein Euphemismus, wenn das Sterben als „Einschlafen“ o.ä. beschrieben wird.

Der böse Euphemismus in der Propaganda

Besonders schwierig wird es, wenn Menschen durch Gewalt sterben. Die schlimmsten Beispiele bieten dabei offensichtlich Kriege und dann bewegen wir uns sprachlich in der Propaganda. So bezeichnet Diktator Putin den aktuellen russischen Krieg immer noch als „militärische Spezialoperation“. In anderen Fällen wurden systematische Massenmorde mit rassistischem Hintergrund als „ethnische Säuberung“ getarnt. Daher ist es gut, wenn Völkermorde auch offiziell als solche bezeichnet und anerkannt werden, wie es in Deutschland zuletzt mit dem Holodomor und den Verbrechen in Namibia geschehen ist. Eine lange Liste von Euphemismen bietet natürlich auch die Sprache der Nationalsozialisten von der „Endlösung“ bis zur „Sonderbehandlung“. Kriegsminister gibt’s nicht mehr in demokratischen Staaten, denn dort heißen sie nun Verteidigungsminister.

Bei Kriegen und Völkermorden ist es besonders wichtig, die Wahrheit hinter den verschleiernden Propaganda-Euphemismen aufzudecken und klar zu benennen. Versteckten Rassismus und Ausländerfeindlichkeit erleben wir – in weniger extremen Dimensionen – immer wieder auch in der aktuellen Politik. Da braucht man sich beispielsweise nur anzusehen, wie sich CDU/CSU in diesen Wochen immer mehr auf das Niveau der AfD begeben. In ihren erzkonservativen Gedanken nutzen sie bei Debatten über Bürgergeld und Staatsbürgerschaft bürokratisch klingende Begriffe wie „Einwanderung in die Sozialsysteme“, um indirekt ausdrücken, dass sie vor allem Menschen aus anderen Kulturkreisen aus Deutschland rauswerfen wollen. Ebenso waren die als „Transitzentren“ getarnten Gefängnisse in der Flüchtlingskrise 2015 eher „Reditzentren“, weil die Migranten nicht durchgehen (lateinisch: transire), sondern zurückgehen (redire) sollten. Auch der ältere Begriff „Gastarbeiter“ war nicht unbedingt gastfreundlich gemeint, sondern sollte eher ausdrücken, dass man die Arbeiter nur vorübergehend in Deutschland nutzt.

Das Schönreden in der Wirtschaft

Neben Tabus und Propaganda bieten auch die Wirtschaft und Arbeitswelt eine große Vielfalt an Euphemismen. Das fängt schon mit der Bezeichnung bestimmter Jobs an. Im schönfärbenden Sprachgebrauch werden sehr wichtige, aber schlecht angesehene Berufe wie Putzfrau oder Hausmeister mit Begriffen wie „Reinigungskraft oder „Facility Manager“ vermeintlich aufgewertet. Viel hilfreicher als solche sprachlichen Tricks wäre allerdings eine Erhöhung von Gehalt und gesellschaftlicher Anerkennung. Wer seinen Arbeitsplatz verliert, wird – zumindest in der euphemistischen Darstellung des Arbeitgebers – nicht entlassen, sondern „freigestellt“ oder erhält eine „betriebsbedingte Kündigung“. Danach ist man übrigens nicht arm, sondern „sozial schwach“.

Stagnierende Geschäfte werden zum „Nullwachstum“ und statt Verluste zu offenbaren, werden „Gewinnwarnungen“ ausgesprochen. Man möchte den Kunden natürlich auch keine Preiserhöhungen zumuten, nein, die Preise oder Beiträge werden nur „angepasst“. Von all den Lügen in der Werbung mal ganz zu schweigen. Auch das Greenwashing, das zum Beispiel beim Klimaschutz immer häufiger zu erleben ist, gehört in die Welt der Euphemismen. Bei noch mehr krimineller Energie beschreiben die Unternehmer ihre gefälschten Bilanzen als „kreative Buchführung“.

Gibt es auch sinnvolle Euphemismen?

Jetzt haben wir viele Beispiele gesehen, in denen Euphemismen benutzt werden, um negative Themen und Einstellungen zu verschleiern. Oft geht es auch darum, beleidigende oder sonstwie abwertende Wörter zu ersetzen. So bezeichnen wir Menschen mit dunkler Hautfarbe heutzutage nicht mehr mit dem N-Wort und im Gegensatz zum englisch black ist auch das Wort „Schwarze“ eher negativ konnotiert. Stattdessen sprechen wir, wenn wir die Hautfarbe überhaupt thematisieren, von dunkelhäutigen Menschen oder allgemeiner von People of Color. Ebenso reden wir von Menschen mit Behinderung statt von „Behinderten“, um zu betonen, dass sie vor allem Menschen sind.

Bei solchen Fällen ist es Definitionssache, ob wir sowas als Euphemismus bezeichnen. Im besten Fall wird ein zuvor negativ besetzter Begriff von der betroffenen Gruppe sogar mit viel Selbstbewusstsein zu einer positiv wahrgenommenen Eigenbezeichnung, wie das Beispiel der Queer-Bewegung zeigt. Hierbei zeigt sich aber auf jeden Fall, worauf es wirklich ankommt. Wir sollten nicht nur möglichst offen im Klartext miteinander reden, sondern vor allem für Respekt, Menschlichkeit und Gleichberechtigung sorgen. Denn unsere Sprache ist letztlich nur der klare oder verschleierte Ausdruck unserer Gedanken.