Stille Nacht: Was alles im schönsten Weihnachtslied steckt

An Heiligabend besingen die Menschen weltweit wieder die Stille Nacht, die zugleich eine heilige Nacht ist. Es ist wohl das bekannteste und am weitesten verbreitete Weihnachtslied und meiner Meinung nach auch das schönste. Doch was steckt alles in diesem 1818 in Oberndorf bei Salzburg uraufgeführten Werk, das vom Pfarrer Joseph Mohr verfasst und von Franz Xaver Gruber vertont wurde? Darum geht es in meinem weihnachtlichen Beitrag.

Stille Nacht Autograph Mohr
Die originale Handschrift von „Stille Nacht“, bekannt als Autograph Mohr

Ein genauerer Blick auf den Text

Wir werfen erstmal einen genaueren Blick auf den Text dieses Liedes. Dabei stellen wir schon fest, dass es den Text aus heutiger Sicht gar nicht gibt, sondern mehrere Varianten (später mehr dazu). Ich beziehe mich hier auf den heutzutage gebräuchlichen Text, wie er im Wikipedia-Artikel zitiert wird.

Erste Strophe: Die stille Nacht, das traute Paar und der holde Knabe

Stille Nacht, heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
nur das traute, hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar,
schlaf in himmlischer Ruh,
schlaf in himmlischer Ruh.

Alle Strophen beginnen mit den gleichen vier Wörtern von der stillen und heiligen Nacht. Das erste und letzte Wort der ersten Strophe zeigen uns an, dass wir uns in einer stillen, ruhigen Szene befinden. Es ist eine besinnliche Stimmung, in der sich alle ganz auf das besondere Ereignis des Weihnachtsfests konzentrieren sollen. Die Melodie ist dementsprechend ruhig. Passend dazu wird bei Aufführungen in der Kirche das Licht gedimmt.

In der zweiten Zeile wird mit dem Gegensatz zwischen „alles“ und „einsam“ der Fokus auf die Protagonisten gelenkt. Wer dort einsam wacht, erfahren wir, wenn das Enjambement, also die Fortsetzung des Satzes im nächsten Vers, uns zum hochheiligen Paar führt. Das Wort „traut“ ist interessant. Wir kennen es heute zum Beispiel vom trauten Heim und als Teil von Wörtern rund um das Vertrauen. Oder soll es getraut bedeuten? Das würde der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium widersprechen, wonach Maria und Josef nicht verheiratet waren und Maria das Kind jungfräulich bekam.

Dieses Kind rückt dann in den Mittelpunkt. Uns begegnet ein weiteres veraltetes Wort: „hold“. Wir kennen es vielleicht von der holden Maid oder dem Glück, das und hold ist. Es kann alles von zart bis gewogen bedeuten. Hier weist das Wort darauf hin, dass wir es mit einem neugeborenen, unschuldigen Jungen zu tun haben. Er darf noch in Ruhe schlafen. Noch muss er nicht als Messias die Welt retten. Die letzte Zeile wird wie in allen Strophen doppelt gesungen.

Zweite Strophe: Rettung durch den lachenden Gottessohn

Stille Nacht, heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
da uns schlägt die rettende Stund,
Christ, in deiner Geburt,
Christ, in deiner Geburt

Nach dem immer gleichen Strophenbeginn wird nun klargestellt, wer dieser holde Knabe ist. Es handelt sich um den Sohn Gottes. Erneut folgt ein Enjambement und beim Übergang in die dritte Zeile merken wir, dass (grammatisch) nicht der Gottessohn lacht, sondern die Liebe, die aus seinem Mund kommt. Der Mund ist natürlich göttlich, um zu verdeutlichen, dass es ein besonderer Mensch ist. Außerdem zeigt sich nun umso mehr, dass Jesus in diesem Lied direkt angesprochen wird. In der ersten Strophe schon durch den Imperativ „schlaf“ und jetzt durch die Pronomen „deinem“ und „deiner“. Außerdem wird er – je nach Textversion – als Christ oder Jesus angesprochen. Nun bekommt er also seine Rolle zugewiesen. Die Geburt des Kindes, das so liebevoll lacht, soll uns alle, die Menschheit retten.

Dritte Strophe: Die Hirten und die frohe Botschaft

Stille Nacht, heilige Nacht!
Hirten erst kundgemacht,
durch der Engel Halleluja
tönt es laut von fern und nah:
Christ, der Retter, ist da,
Christ, der Retter, ist da!

Dann kommen die Hirten ins Spiel, die als erste nach Maria und Josef von der Geburt des Gottessohnes erfahren und die Nachricht verbreiten. Die verkürzte Formulierung „Hirten erst kundgemacht“ lässt sich dabei doppelt deuten. Entweder haben die Hirten die Nachricht zuerst kundgemacht, also verkündet, oder sie wurde ihnen als erste verkündet. Denn je nach Textversion steht auch das Komma entweder hinter „kundgemacht“ oder erst hinter dem Halleluja, sodass sich das Halleluja auf das Kundmachen oder Tönen beziehen kann. Das Halleluja selbst steht für das, was hier passiert: Lobet den Herren!

Nun verbreitet sich die frohe Botschaft von der Geburt Jesu überall. Erneut wird betont, dass er der Retter sei, wobei es auch hier die Textvarianten mit Christ oder Jesus gibt. Interessant ist zudem der Wechsel der Lautstärke. Es begann mit der stillen Nacht, in der das Paar mit dem Jesuskind einsam wachte und jetzt tönt es überall laut. Als die Menschen sich überall über die frohe Botschaft freuen, wird die stille Nacht zum Freudenfest.

Stille Nacht: Ein Lied, viele Versionen

Ich habe ja schon angedeutet, dass es nicht den einen Text für dieses Weihnachtslied gibt. Die drei gerade analysierten Strophen sind eigentlich nur die Hälfte des Liedes. Mohrs Original, das übrigens – wie oben im Autograph zu sehen – den einfachen Titel „Weyhnachts-Lied“ trägt, umfasste sechs Strophen, wovon wir heute die erste, zweite und sechste nutzen. Die weiteren Strophen drei, vier und fünf tragen inhaltlich wenig zur Geschichte bei. Sie stellen vor allem noch länger dar, warum Jesus der Weltretter sein soll. Sie wurden vielleicht auch deshalb aus dem allgemeinen Gebrauch gestrichen, weil sie sprachlich ziemlich altertümlich und kompliziert formuliert sind. So heißt es beispielsweise in der fünften Strophe der Originalversion: „Lange schon uns bedacht, / Als der Herr vom Grimme befreit, / In der Väter urgrauer Zeit / Aller Welt Schonung verhieß“.

Stille Nacht Kapelle Oberndorf
Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf, wo das Lied entstand.
Foto: Holger Uwe Schmitt, Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf bei Salzburg. 03, CC BY-SA 4.0

Wo wir gerade schon bei den Strophen sind: Da gibt es auch Unterschiede bei der Reihenfolge. Ich habe oben die Strophen in der Reihenfolge der Originalversion nummeriert und zitiert. Aber wenn wir ins Gotteslob, das katholische Gebetbuch, schauen, stellen wir fest, dass dort die zweite und dritte Strophe vertauscht sind. Da kommt also zuerst die Strophe mit den Hirten und dann der Text mit dem lachenden Gottessohn.

Außerdem gibt es kleinere Unterschiede im Text zwischen den Versionen. Die offensichtlichste Variationen zwischen Christ und Jesus habe ich schon angesprochen. Hinzu kommen Unterschiede in der Zeichensetzung und bei Verkürzungen von Wörtern (zum Beispiel „Knab“ statt „Knabe“).

Durch Übersetzungen weltweit verbreitet

Ebenso wie die frohe Botschaft von Jesu Geburt überall verkündet wurde, hat sich auch das Lied „Stille Nacht“ in aller Welt verbreitet. Manche Schätzungen kommen auf Übersetzungen in mehr als 300 Sprachen und Dialekten. Eine komplette Übersicht gibt es nicht, aber diese Website bietet schon eine große Vielfalt.

Die meisten von uns dürften neben dem deutschen Text vor allem schon mal die englischsprachige Version „Silent Night“ gehört haben. Natürlich zeigen sich dabei die üblichen Schwierigkeiten bei Übersetzungen. Gerade bei literarischen und ähnlichen Werken ist meistens keine wörtliche Übersetzung möglich oder sinnvoll. In einer bekannten englischen Textversion fällt vor allem ein großer Unterschied zum deutschen Liedtext auf. Aus dem trauten, hochheiligen Paar wird dort „virgin mother and child“. Hier wird also ausdrücklich Marias Jungfräulichkeit betont und nur sie und Jesus werden erwähnt. Die Zeile mit dem holden Knaben wird zu „Holy infant, so tender and mild“, womit der Junge direkt heilig ist. Statt die lockigen Haare zu erwähnen, fassen die Wörter „tender and mild“ gewissermaßen das Holde zusammen.

Aber egal in welcher Sprache, wir kommen mit „Stille Nacht“ auf jeden Fall in weihnachtliche und besinnliche Stimmung.

Noch mehr Weihnachten in meinen Blogs

Vor drei Jahren habe ich mir in diesem Blog mal die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel genauer angesehen.

In meinem anderen Blog „Kein Blatt“ habe ich mir außerdem schon mal überlegt, wie die Ereignisse der Weihnachtsgeschichte wohl in der Gegenwart ablaufen würden.

Was wäre, wenn wir Weihnachten ersetzen würden? Dazu habe ich in einem Gedankenexperiment mal Vorschläge für neu gestaltete Feiertage geschrieben.