Unser Wortschatz ändert sich ständig, wenn neue Wörter hinzukommen. Sprachwissenschaftler sprechen dabei von Neologismen. Vor einiger Zeit habe ich in einem Beitrag über die Evolutionsgeschichte der Sprache beschrieben, wie Wörter durch neue Entwicklungen veralten, angepasst oder abgewertet werden. Nun beschäftigen wir uns mal mit den Neuzugängen in unserer Sprache. 2020 gab es davon durch das dominante Thema des Jahres eine ganze Menge.
Zahlreiche Neologismen durch Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie wurde vor kurzem wenig überraschend zum Wort des Jahres gewählt. Die neue Krankheit, die unser Leben seit Monaten massiv beeinflusst, hat uns zahlreiche neue oder weiter verbreitete Wörter beschert. Dazu gehören die zahlreichen Komposita, also zusammengesetzten Wörter wie Coronatest usw. Nicht nur optisch, sondern auch sprachlich ist der Mund-Nasen-Schutz allgegenwärtig. Schließlich besteht Maskenpflicht. Der Begriff Alltagsmaske zeigt, wie diese Maske einerseits von den FFP2-Masken, andererseits von den bisher bekannten Masken im Karneval oder Atemschutzmasken abgegrenzt werden muss. Als weitere Schutzmaßnahme hat sich der Spuckschutz in Form von Plexiglasscheiben etabliert. AHA war bisher ein Ausruf des Erstaunens, ist aber jetzt als eine Gruppe von Maßnahmen zum Infektionsschutz bekannt.
Für Maßnahmen, die das Verbot von Veranstaltungen sowie die Schließung von Restaurants und Geschäften umfassen, werden zwei Begriffe aus der englischen Sprache benutzt, die früher in anderen Zusammenhängen etabliert waren, nämlich Lockdown und Shutdown. Vor allem in den ersten Monaten der Pandemie verbreitete sich ein weitere englischsprachiger Ausdruck, das Social Distancing. Dieser Begriff ist aber unsinnig, weil es nicht um soziale, sondern um räumliche Distanzierung, also Abstand halten, geht. Wie sehr uns in vielen Fällen die menschliche, körperliche Berührung derzeit fehlt, zeigt ein sehr schönes Wort, das in Belgien seinen Ursprung hat: der Kuschelkontakt.
Viele Diskussionen im Rahmen der Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung beschäftigen sich mit der Frage, welche Berufsgruppen und Branchen systemrelevant, also besonders wichtig für die Gesellschaft sind. Da zum Beispiele die Mitarbeiter in der Pflege nur gelobt und mit Applaus statt mehr Geld belohnt werden, entstand das Phänomen des Balkonklatschers. Auf der anderen Seite stehen die Rechtsextremen und Verschwörungstheoretiker, die als Coronaleugner auftreten und als Covidioten (ein Kofferwort aus Covid-19 und Idioten) kritisiert werden. Ihre Protestversammlungen bezeichnen sie euphemistisch als Hygienedemos. Sie hören nicht auf die Wissenschaftler. Einige Fachbegriffe der Virologen sind mittlerweile trotzdem Teil der Alltagssprache geworden, zum Beispiel Inzidenz, Herdenimmunität und Aerosol.
Neue Technik bringt neue Wörter
Das Institut für deutsche Sprache führt in einer umfangreichen Liste die Neologismen der Zehnerjahre auf. Viele dieser neuen oder in ihrer Bedeutung erweiterten Wörter sind durch neue Medien und technische Entwicklung entstanden. Dazu gehören zum Beispiel das Selfie als fotografisches Selbstporträt, der Hashtag als markiertes Stichwort auf Social-Media-Plattformen, die Bezahlschranke/Paywall als Zugangsbeschränkung und das Clickbait als Lockmittel bei Online-Medien, das Binge Watching als Endlos-Schleife beim Serien-Konsum und die Powerbank zum mobilen Aufladen von Smartphones. Aus der Social-Media-Welt kennen wir auch Phänomene wie das Duckface und den Foodporn sowie negative Entwicklungen in Form von Fake News und Shitstorm. Längst bekannte Wörter wie folgen und wischen haben in der Welt der modernen Medien zusätzliche Bedeutungen bekommen.
Politische Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen
Zahlreiche neue Wörter erhalten wir durch aktuelle Entwicklungen in Politik und Gesellschaft. Klima-Aktivisten gehen bei Fridays for Future auf die Straße. Sie erinnern an das 1,5-Grad-Ziel und kritisieren zum Beispiel die Entscheidungen der Kohlekommission. Aus der Lust, in den Urlaub zu fliegen, wird wegen des Klimawandels die Flugscham. Wir versuchen, Mikroplastik zu vermeiden, indem wir zum Beispiel im Unverpacktladen einkaufen.
Ein anderes großes Thema der letzten Jahre sind die Flüchtlinge. Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklung rund um die Migration haben uns Wörter wie Ankerzentrum und Biodeutsche beschert. Weitere Beispiele für politische Neologismen sind die Ausländermaut, der Brexit und der Dieselskandal.
In unserer modernen Gesellschaft ist auch die Ernährung ein wichtiges Thema. Das zeigt sich an den Flexitariern, dem Intervallfasten und dem Streetfood. Hysterische oder überforderte Menschen werden zu Helikopter-Eltern oder den Weltuntergang fürchtenden Preppern. Schreibende Menschen, die befürchten, dass Frauen in der Sprache nicht sichtbar genug sind, haben das Gendersternchen erfunden und damit ein Chaos verursacht.
Jugendsprache nicht so wichtig
Eine Quelle für neue Wörter, die häufig genannt wird, ist die Jugendsprache. Viele Wörter, die als Beispiele genannt werden, sind allerdings eher kurzlebig. Oft werden sie den jungen Menschen auch eher zugeschrieben statt von diesen wirklich verwendet. Das zeigt sich zum Beispiel bei der jährlichen Wahl zum Jugendwort des Jahres, die Wörter hervorbringt, die kaum jemand verwendet, weshalb die Wahl als Werbeaktion des veranstaltenden Wörterbuch-Verlags gilt.