Die Evolutionsgeschichte der Wörter

Wer kennt heute noch eine Wählscheibe oder gar ein Gabelfrühstück? Wer bezeichnet heutzutage noch ein Mädchen als Backfisch? Diese typischen Beispiele zeigen, dass sich nicht nur die Zeiten ändern, sondern auch die Sprache und der Gebrauch einzelner Wörter. Der Wandel lässt sich in mehreren Kategorien betrachten; dazu gehören bedrohte Wörter (Archaismen), nachträgliche Bezeichnungen (Retronyme) und die Rangordnung von Bedeutungen.

Der technische Fortschritt beeinflusst auch die Sprache. Aus dem Telefon mit Wählscheibe wurde das Tastentelefon, dem das Handy folgte.

Beginnen wir mit den bedrohten Wörtern. Dieser Begriff wurde vor gut zehn Jahren durch den Journalisten Bodo Mrozek bekannt, der bedrohte Wörter online und in zwei Büchern sammelte. Der Fachbegriff lautet Archaismus. Es gibt mehrere Ursachen dafür, dass ein Wort ums Überleben kämpfen muss. Einer der offensichtlichsten Gründe ist der technische Fortschritt. Das Foto mit den unterschiedlichen Arten von Telefonen zeigt ein bekanntes Beispiel. Nur etwas ältere Menschen können heute mit dem Begriff Wählscheibe noch etwas anfangen. Damals drückte man nicht schnell auf Tasten, um eine Telefonnummer zu wählen, sondern drehte mehrmals an einer runden Scheibe mit Löchern für die Finger. Wenn man an andere technische Geräte denkt, bekommt man ruckzuck weitere Beispiele zusammen: Schallplatte, Diskette, Kassette (sowohl Hörspiel als auch VHS), Glühbirne oder weiter zurück auch Kutsche oder diverse alte Werkzeuge. Wie sehr ein Wort als veraltet eingestuft wird, ist individuell sicherlich unterschiedlich. Wer sich für historische Themen interessiert, kennt auch entsprechende Wörter eher als jemand, der ganz in der modernen Welt lebt.

Wörter können auch durch neuere oder moderne Konkurrenten bedroht werden. Das Gabelfrühstück kennt heute kaum noch jemand, weil wir die damit bezeichnete Mahlzeit heute Brunch nennen. Einen Backfisch kennen wir nur noch als Essen von der Imbissbude, da ein Mädchen im jugendlichen Alter heute Teenager heißt. Auch gesellschaftlicher und politischer Wandel kann zur sprachlichen Veränderung beitragen. Die Bezeichung Fräulein und einige Begriffe für Menschen fremder Herkunft gelten heute nicht mehr als akzeptabel. Manche Wörter sind auch nur noch als Teil von Redewendungen oder anderen erstarrten Bezeichnungen bekannt. Wer weiß schon, welchen Hintergrund „in die Bresche springen“, „mit Kind und Kegel“ oder „aus dem Stegreif“ haben? Warum heißt die Kölner Arena auch „Henkelmännchen“? Woher hat der Viktualienmarkt seinen Namen?

Manchmal sorgen die geschichtliche Entwicklung und der technische Fortschritt auch dafür, dass bestehende Gegenstände oder Konzepte nachträglich umbenannt werden müssen, weil etwas Neues hinzukommt. Damit sind bei den Retronymen. Vor dem Aufkommen des Mobilfunks war es nicht nötig, dass mit einem Kabel an einen Ort gebundene Telefon als Festnetz zu bezeichnen. Es gab halt nur eine Art von Telefon. Ähnliches gilt für die akustische Gitarre, die Konkurrenz durch das elektronisch betriebene Instrument bekam, und die Analogkamera (mit belichtetem Film), die durch die Digitalkamera verdrängt wurde. Der Erste Weltkrieg musste erst nachträglich so benannt werden, als der Zweite hinzukam; zu seiner Zeit hieß er einfach Weltkrieg oder Großer Krieg. Auch die Menschen im Mittelalter sprachen noch nicht davon, dass sie im Mittelalter leben.

Die Bedeutung eines Wortes kann sich im Laufe der Zeit so verschlechtern, dass es durch ein neues ersetzt wird. Dann sprechen Experten von einem Pejorativum. Der Begriff Weib war früher eine allgemeine Bezeichnung für einen weiblichen, erwachsenen Menschen. Später wurde er allmählich abgewertet und heute gilt er meistens als Schimpfwort (außer in Bezeichnungen wie weiblich, Weiberfastnacht oder Altweibersommer). Die allgemeine Bezeichnung ist heute Frau, während vrouwe ursprünglich eine höhergestellte Frau bezeichnete, also ungefähr das, was wir heute als Dame bezeichnen. Sprachliche Schwierigkeiten ergeben sich auch bei Bezeichnungen für Menschen mit Behinderungen oder fremder Herkunft bzw. anderer Hautfarbe. „Krüppel“, „Neger“ und „Zigeuner“ stehen heute auf dem Index.

Eine niemals endende Quelle für neue Wörter ist die Jugendsprache. Sie erzeugt ständig Nachschub, der aber auch ältere Wörter verdrängt. Wenn junge Menschen Bewunderung oder Anerkennung ausdrücken woll(t)en, sagten sie einst knorke oder dufte, dann cool oder oberaffeingeil und irgendwann in der modernen Zeit fett oder krass. Die Zeitleiste und der Artikel liefern weitere Beispiele.

Sprache ändert sich ständig und passt sich neuen Begebenheiten an. Auch dieser Wandel macht die Sprache so interessant.