Die Zahlen der Europawahl 2024 sind eindeutig. 30% für CDU/CSU, 15,9% für die AfD und 6,2% für die Wagenknecht-Partei. Mehr als die Hälfte derjenigen, die in Deutschland überhaupt ihre Stimme abgegeben haben, haben diese entweder an Ewiggestrige, Rechtsextreme oder Putin-Anhänger gegeben. Das Ergebnis ist katastrophal, aber ebenso wenig überraschend wie die Reaktionen am Wahlabend und am Tag nach der Wahl. Ein wesentlicher Grund für solche Ergebnisse wird dabei aber entweder nicht erkannt oder ignoriert, nämlich die Bedeutung der (schlechten) Kommunikation.
Mit den jungen Menschen statt über sie sprechen
In den Berichten, Analysten und Kommentaren, die nach der Veröffentlichung des Wahlergebnisses erschienen sind, erfreut sich neben dem Rechtsruck ein weiteres Thema großer Beliebtheit, nämlich das Stimmverhalten der 16- bis 24-jährigen Wähler. In dieser Altersgruppe liegt die AfD gleichauf mit der Union bei jeweils 17% der Stimmen. Die meist älteren Journalisten und Politiker wirken überrascht. Ein Rechtsruck in der Generation Fridays for Future?
Wer hier so überrascht reagiert, hat keine Ahnung von der Kommunikation in dieser Altersgruppe. Man könnte schon längst gemerkt haben, dass die AfD ihre rechtsextreme und ausländerfeindliche Hetze erfolgreich auf Tiktok und anderen Social-Media-Plattformen verbreitet. Spätestens seit es mit #ReclaimTiktok den Versuch gibt, diesen negativen Inhalten etwas entgegenzusetzen. Aber die etablierten Parteien nutzen ihr Wahlkampf-Budget und ihre PR-Abteilungen lieber, um große Wahlplakate zu drucken, die mit ihrer inhaltlichen und optischen Leere so spannend wie das Telefonbuch von Hintertupfingen sind.
Gegen einen reinen Rechtsruck bei den jungen Wählern spricht auch ein anderes Ergebnis, das jetzt oft mit der gleichen ahnungslosen Überraschung dargestellt wird, nämlich die 9% für Volt. Die Partei wurde in der allgemeinen Berichterstattung vor der Wahl kaum berücksichtigt, präsentiert sich aber online attraktiv und mit klaren Ideen. Dabei ist sie allein schon durch ihre europaweite Ausdehnung pro EU und nicht rechts-konservativ, sondern als sozialliberale, fortschrittliche Partei einzuordnen.
Was folgt daraus? Die Politiker müssen die jungen Menschen erstmal überhaupt wahrnehmen und dann ernst nehmen und mit ihnen statt über sie reden. Denn diese jungen Menschen beschäftigen sich nicht nur mit dem Klimawandel, sondern auch mit dem Bildungssystem, der Digitalisierung, einem guten Arbeitsplatz, der Suche nach bezahlbarem Wohnraum, ihrer Perspektive in der Zukunft usw.
Nur gegen Rechtsextremismus zu sein, reicht nicht
Rechtsextremismus stoppen! Demokratie verteidigen! So oder ähnlich war es vor der Europawahl überall auf den billig gestalteten Wahlplakaten und Social-Media-Grafiken zu lesen. Ja, natürlich ist es äußerst wichtig, die AfD und ihre gedanklichen Verwandten auszubremsen und solche Parteien möglichst schnell in Richtung null Prozent zu bringen. Aber dafür reichen solche Slogans allein nicht.
Anfang des Jahres boten die Demokratie-retten-Demonstrationen ein gutes Beispiel dafür, was möglich ist, wenn sich die tatsächliche Mehrheit in Deutschland gemeinsam und offensiv für die Demokratie engagiert. Die Umfragewerte der AfD sanken zumindest um ein paar Prozentpunkte. Aber die demokratischen Parteien haben diese Steilvorlage nicht genutzt, um die Ablehnung von Rechtsextremismus zu verfestigen.
Danach dominierte wieder die AfD die Schlagzeilen mit all ihren Skandalen. Es waren zwar negative Schlagzeilen für die Partei, aber sie konnte dadurch ähnlich wie Trump ihre Opfer-Erzählung inszenieren. Der Fall des getöteten Polizisten in Mannheim kam noch hinzu. Da wurde erneut die Chance verpasst, zu verdeutlichen, dass die Grenze zwischen friedlichen Menschen und Verbrechern nicht durch Nationalität, Hautfarbe oder Religion, sondern durch ihr individuelles Verhalten definiert wird.
Die CDU/CSU ist dann sogar so dreist, sich als „Bollwerk“ gegen die AfD darzustellen, obwohl Merz und Co. beständig daran arbeiten, die Brandmauer einzureißen. Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin aus dem Hinterzimmer, ist sogar bereit, sich von Rechtsextremen wie den Italienern um Meloni wählen zu lassen.
Was folgt daraus? Die Demokraten müssen noch viel mehr und viel deutlicher vermitteln, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht das Problem sind. Das Problem sind Verbrecher aller Art, egal ob mit körperlicher oder verbaler Gewalt, und die gibt es überall. Ebenso wie bei den jungen Menschen gilt auch hier: Wer mit den Migranten vernünftig redet, statt sie zu verdammen, kommt weiter.
Die Propaganda entlarven
Nach der Europawahl gelten in Deutschland vor allem die Ampel-Parteien als die größten Verlierer. Aber war wirklich die Politik der aktuellen Regierung das Problem? Ich denke, auch hier hat vor allem die Kommunikation versagt. Insbesondere die Grünen und die SPD haben es leider nicht geschafft, die Propaganda und das Gemecker der Opposition zu entlarven und etwas Positives entgegenzusetzen.
Nehmen wir als Beispiel mal die CDU und ihre doppelte Kampagne gegen das „Heizungsgesetz“ und das „Verbrenner-Aus“. Ich setzte die beiden Begriffe bewusst in Anführungszeichen, weil sie schon Teil der Propaganda sind. Genau dasselbe hinterhältige Spiel, das die CDU und die Bild-Zeitung beim Gebäudeenergiegesetz getrieben hatten (angeblich alle Heizungen raus), gab es zuletzt bei den fossil betriebenen Autos. Es geht entgegen der Propaganda bei der Regelung nur um Neuwagen und nicht alle Autos, außerdem erst ab 2035, zu einer Zeit, in der sich das Thema fossile Energien so langsam von selbst erledigen wird. Manipulation ist also nicht das Ergebnis der peinlich gescheiterten Umfrage, sondern die CDU-Politik selbst.
Was folgt daraus? Die Regierung muss ihre Politik viel besser erklären. Sie muss verdeutlichen, dass erzkonservative Vorstellungen wie die der CDU nicht in eine moderne Welt gehören und der Wirtschaft schaden. Sie darf sich nicht nur von der Propaganda vorführen lassen, sondern muss zeigen, was die Gesetze und andere Maßnahmen für die Menschen bedeuten. In der vermeintlichen oder tatsächlichen Krise ist Erklären besonders wichtig.
Alles erklären, nicht nur bei der Europawahl
Das Erklären war zuletzt nicht nur in der Bundespolitik mangelhaft, sondern auch im Vorfeld der Europawahl. Viele Menschen verstehen nicht, wie die Europäische Union funktioniert, welchen Einfluss sie hat und warum sie wichtig ist. Mal kurz Frieden und offene Grenzen zu erwähnen, reicht nicht. Wir brauchen mehr politische Bildung, statt die finanziellen Mittel dafür zu kürzen. Wir brauchen eine moderne Kommunikation, online und offline. Auch in der Politik sind mehr Good News nötig.