Wie wichtig das Sehen für unser Leben ist, merken wir spätestens dann, wenn die visuelle Wahrnehmung eingeschränkt ist. Wer im Dunkeln unterwegs oder gar blind ist, muss seine andere Sinne, die sonst von den Eindrücken des Sehnervs überlagert werden, intensiver nutzen. Die Bedeutung des Sehens zeigt sich jedoch auch in unserer Sprache, wie folgende fiktive Geschichte veranschaulichen soll.
Ein Unfall vor Gericht
John Doe steht vor Gericht. Er sieht sich mit einer Anklage wegen eines Verkehrsunfalls konfrontiert. Er soll bei einem Zusammenprall mit einem anderen Auto dessen Fahrer schwer verletzt haben. Nur weil der andere Mann in weiser Voraussicht auf Sicht gefahren sei, sei dieser einer Leichenschau entkommen. John ist jedoch der Ansicht, dass die Anklage etwas übersehen habe. Wegen undurchsichtigen Nebels habe er das andere Auto trotz aller Vorsicht nicht bemerkt. So gesehen, sei der Unfall nicht zu verhindern gewesen, nur ein bitteres Versehen und keine böse Absicht.
Die sichtbaren Spuren am Unfallort sprechen jedoch gegen diese Sichtweise. Außerdem stellt der Richter beim Blick auf die Wetterdaten fest, dass es offensichtlich keinen Nebel gab und der Angeklagte freie Sicht hatte. John hat also offensichtlich gelogen und da er keine Einsicht zeigt, kann er auch nicht nachsichtig behandelt werden. Unter Berücksichtigung aller Aspekte verurteilt der Richter ihn zu einer Gefängnisstrafe. Nebenbei kritisiert er jedoch auch die vielen Schaulustigen, die trotz des Sichtschutzes abgesehen von wenigen sichtlich engagierten Ersthelfern die Rettungsmaßnahmen störten.
Eine Frau genießt ihren Urlaub
Johns Ex-Frau Jane Doe hat sich angesichts der schlechten Aussichten für eine gemeinsame Zukunft schon vor längerer Zeit von ihm getrennt. Sie genießt gerade ihren Urlaub in einem beschaulichen Dorf an der spanischen Küste. Der Strand befindet sich in Sichtweite ihres Ferienhauses, dessen Vermieter auch mit dem Meerblick wirbt, und da Jane in den letzten Tagen bereits alle Sehenswürdigkeiten in der Umgebung besichtigt hat, ist für die nächsten Stunden Erholung auf dem Sand vorgesehen. Jane ist eine ansehnliche junge Frau und mit ihrem Aussehen zieht sie die sehnsüchtigen Blicke der Männer auf sich, von denen sich so mancher richtig in sie verguckt zu haben scheint. Manchmal mag sie dieses „Sehen und gesehen werden“. Sie möchte im Augenblick jedoch gar nicht der Blickfang sein und genießt selbst lieber die Aussicht auf das Meer.
Der neue Job im Fernsehen
Nach ihrem Urlaub steht Jane ein Perspektivwechsel bevor. Sie arbeitet nämlich in Zukunft beim Fernsehen, diesem Medium, bei dem man sie aus der Nähe sehen kann. Es ist nämlich vorgesehen, dass sie das neue Gesicht des Senders Star Television wird. Dort läuft schon eine Vorschau auf die neue Show; sogar die Tagesschau hat über sie berichtet. Sie soll sich – voraussichtlich ab dem nächsten Monat – um die Sichtung von Talenten kümmern. Manches Talent bleibt nämlich unsichtbar und ist auch angesichts des Rückblicks auf sein langweiliges Leben wenig zuversichtlich. Jane gibt den Menschen eine Vision und einen besseren Ausblick auf die Zukunft. Sie hat den Durchblick, you see?
Ich verabschiede mich mit optischen Grüßen: Auf Wiedersehen! See you! Au revoir!