Die Weihnachtsgeschichte ist am heutigen Heiligabend und den Weihnachtstagen wieder in allen Kirchen und an anderen Stellen zu sehen. Vielfach wird die Szene an der Krippe auch aufgeführt. Ich schaue mir die Geschichte aus den Evangelien heute aus sprachlicher Sicht mal genauer an.
Die Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium
Beim Vortrag in der christlichen Kirche ist üblicherweise die Weihnachtsgeschichte aus dem zweiten Kapitel des Evangeliums nach Lukas zu hören. Genauer gesagt sind es die Verse 1 bis 20 dieses Kapitels. Diesen Teil schauen wir uns mal genauer an. Ich zitiere den Text nach der Einheitsübersetzung.
Teil 1: Auf dem Weg nach Bethlehem
1 Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen.
Die ersten beiden Wörter erinnern ein bisschen an die typische Formel „Es war einmal“, mit dem Märchen beginnen. Was von den biblischen Texten wahr ist, ist entweder eine Glaubensfrage oder wissenschaftlich fragwürdig. Als erste Person wird nicht Jesus oder Maria genannt, sondern der Kaiser. Es geht um einen Verwaltungsakt, nicht gerade romantisch oder weihnachtlich. Der Bezug auf den ganzen Erdkreis zeigt, dass damals noch nicht die ganze Welt bekannt war.
2 Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien.
Weiterhin werden nicht die eigentlichen Protagonisten eingeführt, sondern erstmals ein römischer Statthalter. Wir müssen uns außerdem bewusst sein, dass die römische Provinz Syria, die hier gemeint ist, nicht mit dem heutigen Staat Syrien identisch ist.
3 Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen.
Josef und Maria waren also nicht freiwillig unterwegs. Sie nahmen den Weg auf sich, um eine bürokratische Pflicht zu erfüllen.
4 So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids.
Auch die dritte Person, die namentlich erwähnt wird, ist ein Mann. Nun ist es wenigstens schon mal jemand aus dem Umfeld Jesu. Josef wird in Verbindung mit dem mächtigen König David gesetzt, um zu zeigen, dass er nicht irgendwer ist. Geografisch ist jetzt ist nicht mehr die Rede von Syrien, sondern von der südlich davon gelegenen Provinz Judäa. Es wird auch klar, dass er einen weiten Weg zurücklegen muss, denn sein Wohnort Nazareth und seine Geburtsstadt Bethlehem sind rund 150 Kilometer entfernt.
5 Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete.
Jetzt wird endlich auch Maria, die werdende Mutter Jesu, erstmals genannt. Sie ist die Verlobte, womit das Kind nach heutigen Maßstäben unehelich war.
Teil 2: Die Geburt Jesu als Kern der Weihnachtsgeschichte
6 Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, 7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.
Die Geburt Jesu geschieht also ausgerechnet während der ohnehin schon beschwerlichen Reise. Mit der Formulierung „da erfüllten sich die Tage“ werden die Umstände der Geburt hier verschleiert. Doch im vorherigen ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums erhielt Maria eine Botschaft eines Engels, der ihr sagte: „Heiliger Geist wird über dich kommen“. Daher reden wir von der jungfräulichen Geburt, für die eher Gott als Josef verantwortlich war.
Dass Jesus der Erstgeborene war, ist auch wichtig. Denn dadurch bekommt er besondere Rechte und Bedeutung. Sonst könnte Jesus gar nicht die Rolle übernehmen, die ihm bevorsteht.
Einer der am meisten diskutierten Aspekte der Weihnachtsgeschichte ist die Krippe. In den üblichen Darstellungen der Szene liegt das Baby in der mit Stroh gefüllten Krippe und diese steht in einem Stall. Doch nirgendwo wird ausdrücklich ein Stall erwähnt. Wir haben nur die Begründung im folgenden Nebensatz, dass in der Herberge kein Platz sei. Wo Maria und Josef mit dem Baby untergekommen sind, ist aber unklar.
Teil 3: Die Botschaft des Engels an die Hirten
8 In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.
Nun kommen neue Personen ins Spiel, nämlich die Hirten. Sie sind draußen bei ihren Tieren auf dem Feld. Nachtwache unter freiem Himmel mitten im Winter? Das erscheint unwahrscheinlich. Daher gehen die Forscher heute davon aus, dass sich das ganze Geschehen nicht Ende Dezember abgespielt hat, sondern in einer anderen, wärmeren Jahreszeit.
9 Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr.
Mit dem Auftritt des Engels verlassen wir die Realität und gehen in die Religion über. Der Engel ist so bedeutend, dass er wie die Sterne am Nachthimmel strahlt. Wer würde sich nicht fürchten, wenn plötzlich solch eine Gestalt auftaucht?
10 Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: 11 Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.
Das ist die berühmte frohe Botschaft aus der Weihnachtsgeschichte. Der Engel, der sie verkündet, tritt als Bote auf und berichtet von der Geburt Jesu. Durch den Bezug aufs ganze Volk wird klar, dass die Hirten die Nachricht nicht für sich behalten sollen. Sie sollen, wie man heute sagen würde, als Multiplikatoren die Nachricht verbreiten. In der Botschaft wird wieder der Bezug zum König David hergestellt. Jesus ist nicht irgendwer. Als Retter wird er schon kurz nach seiner Geburt zum Helden ernannt. Außerdem erhält er hier den Beinamen Christus. Das Wort bedeutet übersetzt „der Gesalbte“ und nimmt Bezug auf eine Prophezeiung, dass in der David-Linie ein neuer Herrscher kommen soll. Der Name sagt also schon einiges aus.
12 Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.
Der Engel gibt den Hirten noch ein paar ziemlich ungenaue Informationen zu dem Retter Christus, den sie suchen sollen. Er vertraut wohl darauf, dass es nicht allzuviele Kinder gibt, die gerade in einer Krippe liegen.
Teil 4: Die göttliche Dimension
13 Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: 14 Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens.
Jetzt wird alles noch spektakulärer und größer. Der Engel ist nicht mehr allein. Viele himmlische Wesen kommen hinzu und loben Gott. Damit ist der neugeborene Jesus nicht nur der Retter. Er steht in direkter Verbindung zum Allmächtigen. Interessant ist auch, dass wohl nur Menschen, die Gott gefallen, Frieden erleben sollen. So werden sie zum Glauben gedrängt.
Teil 5: Die Hirten besuchen Jesus und verbreiten die Botschaft
15 Und es geschah, als die Engel von ihnen in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Lasst uns nach Betlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr kundgetan hat! 16 So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag.
Die Hirten sind offensichtlich, wie es geplant war, beeindruckt vom Auftritt des Engels und seiner Begleiter. Dass sie erst noch nach Bethlehem gehen, zeigt, dass sie ein Stück weit weg von der Krippe waren. Doch einen Menschen, der so besonders und wichtig sein soll, muss man einfach persönlich erlebt haben. Sie sind da nicht anders als heutzutage Fans, die ihre Stars live erleben wollen. Sie waren so neugierig, dass sie nicht einfach hingingen, sondern sich beeilten. Die Krippe wird wieder ohne nähere Beschreibung der Umgebung erwähnt.
17 Als sie es sahen, erzählten sie von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war. 18 Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten erzählt wurde. 19 Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen. 20 Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war.
Die Hirten sind also nun an der Krippe angekommen und haben das Baby gefunden. Dass sie die Botschaft des Engels erzählen, zeigt dabei, dass Maria noch nicht wirklich wusste, was für einen besonderen Nachwuchs sie bekommen hat. Sie nimmt die Worte in ihr Herz auf und muss sie erstmal verarbeiten. Wer mit „alle, die es hörten,“ gemeint ist, wird nicht erklärt. Nach der üblichen Darstellung ist außer den Hirten, Maria und Josef sowie Jesus niemand da. Oder waren sie doch nicht alleine in einem Stall? Nach dem Besuch bei Jesus erfüllen die Hirten den Auftrag des Engels und verbreiten die Botschaft.
Das Evangelium nach Matthäus und die Sterndeuter
In vielen Darstellungen der Krippe sehen wir heutzutage auch die sogenannten Heiligen Drei Könige, deren Festtag wir nicht im Dezember, sondern am 6. Januar feiern. Dieser Teil der Erzählung gehört somit nicht zur Weihnachtsgeschichte im engeren Sinne. Aber auch dieser Teil ist sprachlich interessant. Denn das Matthäus-Evangelium, in dem davon berichtet wird, beschreibt die Besucher nicht als Könige, sondern als „Sterndeuter“ und die Zahl Drei ist nirgendwo zu sehen. Auch das Wort „Morgenland“ kommt nicht vor, sie kommen „aus dem Osten“. Der Stern, dem sie folgen, dient dabei als Symbol für den neuen Herrscher, der Jesus werden soll.
Nicht begeistert von der Botschaft war Herodes. Er war damals König in Judää und dem Kaiser Augustus, den Lukas erwähnt, untergeordnet. Als die Sterndeuter zu Herodes kommen, betrachtet der König diesen neugeborenen Jesus als direkten Konkurrenten. Das wird in den schönen Krippenszenen nicht so dargestellt, ist aber wichtig. Denn der Neid, den Herodes entwickelt, hat brutale Konsequenzen: Er führt zum Kindermord von Bethlehem. Auch in der Bibel gibt es nicht nur friedliche und schöne Geschichten.
Wie würde die Geschichte heute aussehen?
In meinem anderen Blog Kein Blatt habe ich mich vor zwei Jahren mit der Frage beschäftigt, wie die Weihnachtsgeschichte wohl heutzutage verlaufen würde: Die Weihnachtsgeschichte in der Gegenwart
Frohe Weihnachten!