Heute geht es um Menschen, wo im Geschäft sind. Wir sprechen über die Ming-Dynastie und seltsame Zeiten. Auch Brot, Apfel und ein Fächer spielen im folgenden Text eine Rolle. Wenn ihr jetzt keine Ahnung habt, wovon ich rede, solltet ihr weiterlesen. Herzlich willkommen in der faszinierenden Welt der deutschen Dialekte.
Regelmäßig gibt es Umfragen zu den beliebtesten Dialekten. Bairisch und das Plattdeutsch des Nordens kommen dabei oft auf die Spitzenplätze, während Sächsisch eher als unattraktiv gilt. Das ist nicht meine Meinung. Aber es zeigt, dass sich die Menschen trotz des immer größeren Einflusses des Hochdeutschen und immer mehr Englisch in der deutschen Sprache noch für die regionalen Sprechweisen interessieren. Am besten bringen es die Menschen im Südwesten unseres Landes auf den Punkt, wenn sie feststellen, dass sie alles außer Hochdeutsch können. Gleich mehr zur Frage Dialekt vs. Standardsprache. Tauchen wir erstmal in die Welt der Dialekte ein.
Schwäbische Eigenheiten
Da beginne ich mal mit dem Schwäbischen, für mich einer der attraktivsten Dialekte in Deutschland. Es klingt einfach schön, wenn der Beste zum Beschden wird. Die Legende zur Entstehung der Maultaschen hat das ebenso kreative Wort „Herrgottsbscheißerle“ hervorgebracht. Überhaupt ist die Endung -le eines der wichtigsten Werkzeuge im Schwäbischen. Wie in anderen Dialekten können bestimmte Wörter bei Außenstehenden allerdings zu Missverständnissen und Erklärungsbedarf führen. Ein Schwabe kann im Geschäft sein, ohne dass er gerade einkaufen geht oder im Einzelhandel arbeitet. Denn er bezeichnet mit „Geschäft“ ganz allgemein seine Arbeit oder Arbeitsstelle. Die Menschen im Südwesten halten sich teilweise auch nicht an die standardsprachliche Grammatik. So verzichten sie auf Relativpronomen und ersetzen sie durch „wo“. Sie sind also die Leute, wo etwas anders reden.
Kölsch mit Wemsing-Genitiv und Verlaufsform
Eigene Wege gehen auch die Menschen in und um Köln. Im kölschen Dialekt, der meine sprachliche Heimat ist, verzichten sie beispielsweise auf den unbeliebten Genitiv, jedenfalls in der normalen Form. Sie nutzen stattdessen den „Wemsing-Genitiv“. Auf die Frage, wessen Tasche das ist, antwortet der Kölsche also beispielsweise: „Dat es dem Jupp sing Täsch“. Wörtlich ins Hochdeutsche übersetzt: „Das ist dem Josef seine Tasche“. Bei Namen kommt hingegen mehr Genitiv rein als üblich. So singen die Bläck Fööss in ihrem Klassiker über die erste Freundin beispielsweise: „Ming eetste Fründin, dat wor et Meier’s Kättche (des Meiers Käthchen)“. Die Ming-Dynastie gibt es nicht also nicht nur in China.
Die Bewohner des Rheinlands nutzen ganz selbstverständlich sogar eine sprachliche Form, die in anderen Teilen der Republik höchstens als umgangssprachlich gilt. In der sogenannten rheinischen Verlaufsform, die an die englische Grammatik erinnert, kann ich jetzt zum Beispiel sagen: „Ich ben am Schrieve“. Also: „Ich bin am Schreiben“. Solche Besonderheiten sind nicht schlecht, sondern einfach Bestandteile von Dialekten, die sich eben von der Standardsprache unterscheiden. Oder wie die Rheinländer in Artikel 1 ihres eigenen Grundgesetzes sagen: „Et es, wie et es“.
Blick von außen auf Berlin
Um zu erkennen, was einen Dialekt ausmacht, hilft wie so oft der Blick von außen. So hat der ursprünglich aus Südtirol stammende Kabarettist Konrad Beikircher den Rheinländer in seinen Programmen hervorragend analysiert. Da ich selbst oft in unterschiedlichen Ecken von Deutschland unterwegs bin, fallen mir selbst auch Besonderheiten und Unterschiede auf. Wenn ich in Berlin zu Gast bin, muss ich mich auf neue Uhrzeiten einstellen. In der Hauptstadt gilt zwar auch die mitteleuropäische (Sommer)Zeit, aber während ich 11.45 Uhr als „viertel vor zwölf“ bezeichne, sagen die Berliner dazu „dreiviertel zwölf“. In anderen Elementen gibt es hingegen deutliche Parallelen zum Dialekt der Rheinländer, beispielsweise die Regel, den Buchstaben g in der Aussprache durch ein j zu ersetzen, wie in dem berühmten Berliner Ausdruck jwd („janz weit draußen“).
Fließende Grenzen
Mit einem anderen Beispiel begeben wir uns nun zur sprachwissenschaftlichen Betrachtung. Kölsch-Sprecher und Berliner sind sich nämlich auch weitgehend einig, dass sie in ihren Dialekten die im Standarddeutschen erfolgte zweite Lautverschiebung ignorieren. Dieser Begriff aus der historischen Sprachwissenschaft bezeichnet vereinfacht ausgedrückt, dass stimmlose, also hart ausgesprochene Konsonanten verweichlicht wurden. So heißt es in den beiden Dialekten „dat“ bzw. „dit“ statt „das“ oder „Appel“ und „Kopp“ statt „Apfel“ und „Kopf“. Abgegrenzt werden solche Unterschiede durch sogenannte Isoglossen, also Linien, die Deutschland sprachlich einteilen. Solche Linien sind allerdings im Gegensatz zu den Grenzen von Bundesländern oder Staaten keine exakt festgelegten Grenzen. Sprachwissenschaftler sprechen vom Dialektkontinuum. Deshalb gibt es im Westen beispielsweise einen fließenden Übergang zwischen den Dialekten, der als Rheinischer Fächer bekannt ist.
Ebenso fließend ist der Übergang zwischen Dialekten und der Standardsprache. In unserem Fall hat sich das Hochdeutsch aus Dialekten entwickelt und wurde dann als Standard festgelegt. Die Sprache rund um Hannover und mitteldeutsche Sprechweisen gelten als wichtigste Einflüsse. Die Standardsprache erleichtert die Kommunikation über die verschiedenen Regionen hinweg. Mit einer einheitlichen Rechtschreibung und Grammatik werden Regeln für den ganzen deutschen Sprachraum festgelegt. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Hochdeutsch irgendwie besser oder wichtiger ist als die Dialekte. Gerade die Vielfalt macht das Erlebnis Sprache erst so interessant.
Die Kreativität der Dialekte
Wie kreativ und vielfältig die deutsche Sprache ist, erkennen wir, wenn es für bestimmte Dinge keine einheitliche Bezeichnung gibt. Der Sprachkolumnist Bastian Sick (bekannt durch seine Spiegel-Kolumne Zwiebelfisch und die Bücherreihe Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod) sammelte beispielsweise mal Begriffe für das, was vom Apfel übrig bleibt, wenn man diesen rundherum abgeknabbert hat. Eine ähnliche Liste erstellte er für das Endstück eines Brotlaibs. In Deutschland ausgestrahlte Spielfilme ausländischer Herkunft werden üblicherweise mit deutschen Synchronstimmen gezeigt. Aber kreative Köpfe lassen Blockbuster wie Star Wars oder Fluch der Karibik bei Youtube auch in verschiedenen Dialekten erklingen. Zu einem eigenen Klassiker hat sich auch eine offizielle kölsche Version von Dinner for One entwickelt.
Dialekte erhalten
Solche Spielereien können dazu beitragen, das Aussterben der Dialekte zu verhindern. Die Dialekte werden nach allgemeiner Einschätzung von jungen Menschen weniger genutzt. Es gibt allerdings verschiedene Gegenmaßnahmen. So wird in Köln die kölsche Musik genutzt, um auch bei jungen Menschen das Interesse für die Mundart zu stärken. In Norddeutschland ist der Dialekt an manchen Orten sogar ein Schulfach.
Wir sollten die Dialekte auf jeden Fall erhalten, egal ob wir Schwäbisch schwätza, Kölsch schwaade, die Berliner Schnauze haben oder irgendwo anders unsere sprachlichen Eigenheiten pflegen. Dialekte stehen für Heimat und Vielfalt zugleich.